historie
Das sogenannte „Retti-Palais“ ist eine architekturhistorische Perle Ansbacher Baukunst, die sich seit geraumer Zeit in einem Dornröschenschlaf befindet. Es handelt sich um einen spätbarocken Profanbau, den sich der lombardische Architekt Leopoldo Retti (1704-1751) als Stadtpalast errichtete. Der Baumeister erhielt 1743 den Grund in der ehemaligen Jägergasse (heute Bischof-Meiser-Str.) vom Markgrafen Carl Wilhelm Friedrich. Im Folgejahr – also vor 270 Jahren – begann der Hausbau. Retti wird jedoch selbst nicht in dem für sich konzipierten Haus gewohnt haben, da er Ansbach bereits 1749 verließ. Das Haus mit seinen wechselnden und illustren Bewohnern weist eine reichhaltige Geschichte auf, die hier ansatzweise dokumentiert werden soll.
Vor zehn Jahren hat die Stadt Ansbach das Haus von privater Seite gekauft, ohne dass es jedoch einer neuen Nutzung zugeführt werden konnte. Zuletzt war das Gebäude als Wohnhaus mit angeschlossener Arztpraxis genutzt. Zwei Räume mit Stuckornamenten und Sopraportenmalereien aus dem späten 18. Jahrhundert wechseln mit innenarchitektonischen Elementen aus den 1950er bis 80er Jahren in anderen Zimmern. Das nun leer stehende Gebäude befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Residenz inmitten des alten Adels- und Gesandtenviertels und grenzt an den Hofgarten an.
leopoldo retti
Der italienische Architekt Leopoldo Matteo Retti wurde im Jahr 1704 im Dorf Laino in der Lombardei geboren. Er entstammte einer Künstlerfamilie, zu der auch seine drei älteren Brüder Paolo, Riccardo und Livio gehörten. Ihr Onkel und Vormund Donato Giuseppe Frisoni, ebenfalls Stuckateur und Baumeister, 1714 von Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg mit dem Bau des Ludwigsburger Schlosses betraut, holte seine Neffen drei Jahre später zu sich.
Dort erhielt er seine Architekturausbildung. Der Herzog schickte ihn außerdem von 1724 bis 1726 zum Studium des französischen Rokoko nach Paris. Zurückgekehrt wurde der gerade 24-Jährige 1728 zum Herzoglich-Württembergischen Baudirektor und Ingenieurleutnant ernannt. Er übernahm die leitende Funktion beim Ausbau der neuen Stadt Ludwigsburg.
Rettis Fähigkeiten sprachen sich bis zur herzoglichen Verwandtschaft in Ansbach (damals noch Onolzbach) herum – die Mutter des später als „Wilder Markgraf“ bekannten Carl Wilhelm Friedrich stammte aus dem Haus Württemberg. 1731 ließ sich Retti vom Markgrafen abwerben und zog im Range eines Ingenieur-Capitains in die fränkische Residenz, wo er 20 Jahre lang bleiben sollte. Bereits ein Jahr später wurde er Nachfolger des damaligen markgräflichen Hofbaudirektors Carl Friedrich von Zocha.
Nach und nach holte er weitere verwandte Künstler nach Ansbach nach, wie etwa die Stukkateure Diego und Carlo Carlone, den Marmorierer Ciacomo Antonio Corbellini oder den Bildhauer Antonio Sylva. 1733 heiratete er seine Frau Anna Clara Darny, mit der er die nächsten zehn Jahre am Schlosstor wohnte.
In diesen Jahren entstanden eine Reihe von Gebäuden, die das Gesicht Ansbachs bis heute prägen: das Herrieder Tor, der Umbau des Ansbacher Schlosses im französischen Stil und von St. Gumbertus als Hofkirche, der Bau der Synagoge und die Gestaltung ganzer Straßenzüge, vor allem entlang des Johann-Sebastian-Bach-Platzes, in der so genannten Neuen Auslage rund um den Karlsplatz und des Hofgartens. Hinzu kommen zahlreiche Bauten außerhalb der Stadt, wie etwa des Dennenloher Schlosses, der Vorstadt von Roth sowie vieler Kirchen, Pfarrhäuser und Schulen.
Als sich seine weiteren städtebaulichen Pläne wegen fehlender finanzieller Mittel im Zuge des Österreichischen Erbfolgekrieges nicht mehr nach seinen Vorstellungen umsetzen ließen, ging der Architekt 1746 zuerst zeitweilig, drei Jahre später dann für immer nach Stuttgart. Dort widmete er sich als herzoglich-württembergischer Oberstleutnant und Oberbaudirektor bis zu seinem Tod 1751 vor allem dem Bau des Neuen Schlosses.
Das Palais
1743 beschenkte der Markgraf Carl Wilhelm Friedrich seinen Hofarchitekten mit einem Bauplatz in der Jägergasse, der heutigen Bischof-Meiser-Straße, auf dem Retti in der Folge den nach ihm benanntenStadtpalast baute, das „zur Zierde“ der Straße gereichen sollte, wie der Markgraf ausdrücklich festhielt.
Das Grundstück lag neben dem Haus eines hohen Beamten (Nr. 7) und dem markgräflichen Jagd-Sekretariat (heute Hochbauamt). Auf dem Grundstück befand sich die Hofschreinerei, von der sich die Rückgebäude (an den Hofgarten angrenzend) bis 1825 erhalten haben. 1861 wurde an der Südfassade ein neues Treppenhaus in Holzfachwerkkonstruktion errichtet. Ein älterer rückwärtiger Gebäudeteil im Südosten des Hauptauses, zur ehemaligen Schreinerei gehörend, wurde erst 2005 abgerissen.
Bautechnisch ist es ist ein zweigeschossiger Walmdachbau mit dreiachsigem Mittelrisalit und Zwerchhaus. Es besitzt rustizierte Lisenen, eine Putzgliederung und Stuckornamentik an einigen Wänden und Decken. Das Treppenhaus und ein großer Saal in der Beletage sind in fast originalem Zustand erhalten. Die Hauptnutzfläche des Gebäudes beträgt 587,80 qm, hinzu kommen 154,80 qm Nebennutzfläche und 225,20 qm Verkehrsfläche wie Treppen und Flure. Weitere 61,50 qm entfallen auf die Nebennutzräume unter 1,5 m Höhe. Das Haus besteht aus dem Keller, dem Erdgeschoss, dem 1. Obergeschoss sowie dem 1. und 2. Dachgeschoss.



Die Bewohner
In sein Palais, das 1749 fertiggestellt wurde, zog Retti gar nicht mehr ein, sondern verkaufte das Anwesen an die Stadt Ansbach als Obervogteiamt und damit Sitz des Obervogts und Geheimen Minister Christoph Ludwig Graf von Seckendorff-Aberdar. 1757 Einzug des neuen Obervogtes (und Markgrafensohnes) Friedrich Carl von Falkenhausen, der das Anwesen 1760 von der Stadt erwirbt. Dessen Ehe mit den Freiinnen Caroline von Beust und nach deren Tod 1767 mit Florentine von Beust entsprangen elf Kinder, die in diesem Haus aufwuchsen. Nach seinem Tod wurde das Haus durch Erbteilungsverfahren verschieden genutzt: Während im oberen Geschoß die Witwe lebenslanges Wohnrecht genoss, wurde der untere Teil vermietet. Entgegen der Bestimmungen von 1749, dass das Haus in städtischem Besitz verbleiben und als Obervogtei genutzt werden sollte, wurde es 1760 an Friedrich Carl von Falkenhausen überschrieben.
Der Oberforstmeister Albrecht Freiherr von Schirnding, der in die Familie der von Falkenhausens eingeheiratet hatte, erwarb von diesen das Haus 1825.
1849 übergab von Schirnding das Haus an seinen Sohn Friedrich Karl August, dem Revierförster von Stauf.
1852 Verkauf an den Gendarmarie-Hauptmann Freiherr von Waldenfels. Das Erdgeschoss wurde lange Zeit an adlige Mitglieder der Garnison vermietet etwa an den Leutnant Baron von Eyb 1886 oder 1891 an den Grafen Seinsheim.
1891 Nach dem Tod des Barons von Waldenfels verkaufte die Erbengemeinschaft das Anwesen an den Strohmosaikverkäufer Wilhelm Wagenhöfer. Im historischen Adressbuch von1894 wird er als Mitarbeiter der Firma Friedrich Ebert (Strohmosaik- u. Kartonagenfabrikant), 1921 als Hauptkassierer der Ausstattungsanstalt Ansbach geführt. Bis etwa 1909 waren zudem noch immer Garnisonsmitglieder im Palais wohnhaft, etwa der Sekondeleutnant Freiherr Julius Ludwig Gustav von Eyb, der Rittmeister und Eskadronschef Theodor Konitzky sowie der Leutnant und Regimentsadjudant Freiherr Philipp von Seefried auf Buttenheim, dem späteren Kommandeur des 8. Kavallerieverbands der bayerischen Armee. 1935 wird dort u.a. der spätere Wehrmachtskommandant von Kulmbach, Leutnant Kurt Myrus im ersten Stock aufgeführt. In dieser Zeit werden Haus und Nebengebäude insgesamt von zwölf Parteien bewohnt.
Das Adressbuch von 1910 weist im Erdgeschoss des Haupthauses die Praxis von Dr. Adam Alexander Krampf aus, während sich den ersten Stock der Landgerichtsrat Heinrich Kadner, mit seiner Frau und seiner verwitweten Schwester (?) Rosa und der Zollamtmannswitwe Sofie Schmitt teilte. Die mittlerweile ebenfalls verwitwete Lina Wagenhöfer wohnte im Hinterhaus neben der Lehrerstochter Auguste Graf. Auch der oberste Stock wurde in dieser und der folgenden Zeit von Einzelpersonen bewohnt.
Nach dem Tod der Wagenhöfer-Witwe ging das Anwesen an die Tochter Marie, die den praktischen Arzt Dr. Adam Krampf geheiratet hatte. Dieser hatte im Ersten Weltkrieg als Stabsarzt gedient, und praktizierte im Palais. Nach seinem Tod 1951 übernahm die Tochter, Dr. Elisabeth Krampf die Praxis, die diese bis 1999 führte. Das Anwesen blieb bis zum Jahr 2004 m Besitz der Erbengemeinschaft Wagenhöfer-Krampf.



Der Straßenname wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in „Theresienstraße“ (nach Königin Therese von Bayern), im Dritten Reich in „Julius-Streicher-Str.“ (nach dem NSDAP-Gauleiters von Mittelfranken und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“) abgeändert, um nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in „Jägergasse“ zu wechseln. 1958 erhielt die Straße ihren heutigen Namen.